CHAPTER IV: 1910-1950

Modernismus und Weltliteratur


MODERNISMUS

Zunächst ganz außerhalb dieser Schichtung der Konsumenten in der Kulturindustrie befand sich die literarische Avantgarde. Sie versuchte engen Anschluss an den Modernismus in Europa, vor allem in Paris. Getrude Stein hatte bei William James und Hugo Münsterberg empirische Psychologie studiert. Weder Hemingway, noch Anderson noch Faulkner hatten studiert. Sie waren Autodikakten. Doch ihnen gelang es gegen alle Widerstände – Ulysses von James Joyce war in den USA bis 1933 verboten – den Modernismus allmählich in der Fiktion durch zu setzen. Kleinformen wie das Gedicht (Ezra Pound und die Zeitschrift Poetry, 1912) oder wie die Story, auch die Sketch-Story waren besonders geeignet Experimente zu betreiben (Masses 1911,The Little Review 1914, etc.). Erst zögerlich setzte sich der Modernismus auch in den Langformen durch. Entsprechendes galt auf dem Theater (off-Broadway).



G Stein 1914



Um 1912 hatte sich Gertrud Steins serienmäßige Fertigung von Portraits bereits erschöpft. Sie suchte einen Neuanfang. Schließlich hatte schon W. Irving versucht aus Charakterskizzen einen Nationalcharakter zu konstruieren. Eine Reise nach Granada und die Kriegsjahre auf Mallorca eröffneten eine neue Phase in Steins Experimenten. Reisen und Skizzieren traten neu zusammen.

Dort dehnte sie ihren eigenwilligen Gebrauch von „Portrait“ auch auf Stillleben aus. Die noch kürzeren Texte in Tender Buttons (1914) sind Vignetten von häuslichen Gegenständen wie sie seit Vermeer in der Malerei üblich waren. Cézanne nutzte sie zum Herausarbeiten von Grundformen wie Kreis, Zylinder, Kegel. Mit den Vignetten beginnt der Einfluss von Stein auf die moderne Literatur. Sie entwickeln in ihrem Zusammenhang das Prinzip der modernistischen Montage.

In Tender Buttons treten Hausgegenstände von Karaffen über Salate bis hin zu Räumen zu drei Gruppen zusammen: Object, Food, Rooms. Stillleben also, wieder live, teils in extremer Kürze und als Serie (list). Stein abstrahierte experimentell Sehweisen von Emotionen wie Matisse, serialisiert sie und schafft überraschende Wort- und Satzverbindungen, die den Surrealimus vorwegnehmen und zugleich neue Emotionen möglich machen:



Tails

Cold pails, cold with joy no joy.
A tiny seat that means meadows and a lapse of cuddles with
cheese and nearly bats, all this went messed. The post placed
a loud loose sprain. A rest is no better. It is better yet. All the
 time.



Zwei Paragraphen, sechs Sätze, 46 Wörter. 41 Wörter davon einsilbig; nur wenige wiederholen sich. 13 sind Substantive. Die Verbfolge ist: is, means, went, placed, is, is.

Viele Wörter bilden Klangpaare. Die sechs Sätze bilden drei Gruppen: der erste Satz steht allein, füllt einen Paragraph, enthält drei Glieder. Der lange zweite listet drei Merkmale auf, und fügt einen Kommentar hinzu. Die letzen drei kurzen Sätze formen eine Gruppe. Die Zahl drei häuft sich.

In den sechs Sätzen bilden sich Wortgruppen. Der erste Satz gibt einen Rhythmus vor: 2 Wörter, 3 Wörter, 2 Wörter. Trägt man die Wortgruppen, deren Wortzahl pro Gruppe und pro Satz erkennt man den Rhythmus der Wortgruppen, welcher den Dreier-Takt mit Zweiern variiert, ihn aber zum Schluss wieder herstellt.

Dieser Rhythmus wird von den Klangpaaren überlagert, synkopiert und z. T. verklammmert.

Dies ist ein abstraktes Stillleben, eine Art von Lokalskizze. Besser eine Vignette. Sie steht zwischen "Lunch" und "Apples" in der Sektion FOOD und hat kaum Beziehung zum Titel oder den Umrahmungen. Bis auf cheese kommt kein Essen vor, und ob rest sich etwa auf Möhrenenden bezieht oder rest eher mit seat zusammenhängt bleibt offen. Der lange zweite Satz kann vielleicht sich selbst oder den ganzen Text meinen: die Liste scheint verrückt geworden oder ein Mischmasch zu sein. Das könnte eine Montage aus Textschnipseln (cut up) sein. Ein surrealistisches Gedicht, eine Form des automatischen Schreibens. Eine Montage von Wörtern. Ein sinnloses Experiment. Stein wird dies später rückblickend eher als eine Meditation über einen Gegenstand vor ihr beschreiben, als ein Versuch ihn neu zu sehen und neu zu komponieren.

Deutlicher wird der Versuch durch die beiden Negationen in der ersten und (steigernd) in der letzten Gruppe. Es widersprechen sich Wortgruppen oder Sätze. Ein weiterer Widerspruch besteht zwischen den Negationen und den beiden Universalisierungen von all this und All the time. Die doppelten Widersprüche stören jeden Versuch, sich eine Szene vorzustellen, etwa einen gemalten Tisch mit Mohrrüben und Käse, daneben ein Stuhl vor einem Fenster, durch das man auf die Wiese schaut ... Oder eine Geschichte: Gertrud und Alice erfreuen sich am Käse, an den Rüben und schmusen miteinander ...

Die Skizzen in Tender Button dekonstruieren solche räumlichen oder zeitlichen Zusammenhänge, jeden Zeitsinn. Wie Matisse, mit dem sie befreundet war, betrieb Stein die Abstraktion von den Gegenständen, von deren Re-Präsentation in unserer Einbildung und verlagerte die Komposition von den Gegenständen auf die Wörter und Sätze. Absatz, Satz, Wortgruppen und Wörter sind ihre Linien, Schattierungen und Farbtupfer in dieser abstrakten Komposition. Das setzt unsere Einbildung in Kraft und öffnet den Text zum freien Spiel mit Bedeutungen, ganz wie eine abstrakte Skizze oder ein Klavierstück von Anton Webern. Man kann sich den Text wie eine Partitur denken, auf der oberhalb der Grundlinie die mehrfachen Wörterbuch-Bedeutungen wie Obertöne eingetragen werden. Dann können wir frei zwischen den Linien wechseln und damit unsere eigene Melodie erzeugen. Interpretinnen von Tender Buttons haben sich oft an einzelnen Texten versucht. Beispielhaft Ruddicks Interpretation der vierzeiligen „Karaffe“, welche die Liste von Objekten in Tender Buttons eröffnet (1990, 190-252). Rückblickend sagte Stein in ihren Vorlesungen (1933, veröffentlicht 1935), sie habe damals versucht, sich von "Substantiven" zu befreien und es habe sie selbst überrascht, wie zäh Bedeutungen sich ihrer Löschung widersetzen.

Die Zahlen sind hierbei nicht überflüssig. In „Explanation as Composition“ (192x) gibt Stein an, dass Zahlen, sprich Proportionen bei der Komposition eine wachsende Rolle spielen. 4/3 und 5/4 sind bevorzugte Techniken der Abstraktion bei der Serialisierung. Bei der Mathematisierung folgte Stein Marcel Duchamps späteren Experimenten. Zusätzlich ergeben sich bei vielen Titeln wie Vignetten auch erotische Lesarten, vielleicht als Subtexte für Alice Toklas, ihre Partnerin.

Noch später in How to Write (1936) unterscheidet sie autoritäre Narrativik von gelockerten Spielen, welche der Leserschaft erlauben, ihre eigenen Texte daraus zu machen : laissez faire (266-70). Tender Buttons begründete das offene Kunstwerk der Moderne, weit offener als The Waste Land oder Ulysses, beide 1922.

Diese Übertragung von "Portrait", wie Stein die kurze Charakterskizze nannte, auf „Stilleben“ führte zur nächsten Phase der Dekonstruktion, den „Plays“. Der doppelte Widerspruch zwischen und in den Sätzen von „Tails“ lässt daran denken, dass hier vielleicht zwei oder mehr Stimmen sprechen. Jemand spricht, jemand anders widerspricht. Die Skizze würde zum Dialog, das Portrait zum Gruppen-Portrait. Man könnte den Sätzen eventuell Sprecher zuordnen.

Im nächsten Teil-Schritt dieser Phase übertrug Stein das Portraitieren von Personen und Stilleben auf etwas was sie „Landschaften“ nannte. rehabilitierte damit die verbale Landschaftskizze. IRVING* POE * Das hatten aber wenig mit dem Pittoresken bei Irving oder dem urbanen Realismus bei Melville zu tun. „Play“ trug bereits doppelte Bedeutung: Schauspiel/Sprachspiel. Um die Referenzen weiter zu verwirren, nannte Stein ihre Landschaftsskizzen auch „Geography“. Sie rechtfertigte dies einfach so: Landschaften evozierten bei ihr Szenen, und diese ließen sich ohne Narration schildern. Spiele waren Steins Anwort auf die Amputierung der Sketch-Story, auf ihre Abtrennung vom Erzählen. Statt der Figuren bewegten sich die Wörter zwischen den Sätzen. Sie ließen wie die Portraits ein wechselndes Spiel entstehen zwischen Verweisen (Namen, Orte) und Abstraktionen, zwischen Arrangements mit Verweisen und Abstraktionen beim Lesen. Sie erhöhten damit die Inferenz-Anforderungen beim Publikum erheblich.

Die in Geography and Plays (1922) gesammelten Texte haben verzögert, aber doch deutlich auf die Entwicklung der Sketch-Story gewirkt. Zwei Beispiele aus der Sammlung wurden in Selected Writings einer populären Taschenbuch-Ausgabe (ab 1962) abgedruckt.

Zu Sätzen und Paragraphen, mit oder ohne Titel, traten Akte, Szenen und Stimmen als Rahmen. Laut Stein hatte das etwas mit den Erzählungen von Henry James zu tun. Das 19c hatte dem Beschreiben die Emotionalität des Beschreibens hinzu gefügt (James hatte das „Impressionen“ genannt). Sätze allein, so Stein, trügen keine Emotionen. Aber wenn man sie zu Paragraphen komponiert, entstehen Emotionen. Henry James komponierte, wie wir in „Four Meetings“ gesehen haben, seine Geschichten gerne in nummerierten Blöcken, bevorzugte dabei bestimmte Kompositionen in Vierer- Fünfer oder Sechser-Blöcken. Darin lag sein Grundriss für seinen Überbau, das Ausarbeiten von Parallelen, Kontrasten, Umkehrungen usw.

So kam Stein vom Skizzieren zum Drama. In den “Plays” mit Sprechern und durch die „Geographie“ von Orten entstanden in den Paragraphen und zwischen den Sätzen abrupte Wechsel, die sich gleichzeitig als Zeit-, Blick- oder Sprecherwechsel lesen lassen. Einer Aussage folgt ein Fragesatz: Selbstgespräch oder Dialog? Auch in den Sätzen tritt machmal ein solcher Wechsel ohne Interpunktion auf. Stein beginnt, diese Teisltücke als verschiedene “Stimmen” (voices) zu verstehen und die Skizze als ein Dialog verschiedener Stimmen zu komponieren. Aus der Skizze wird ein Drama. Wortwörtlich: Gertrude Stein trainierte sich beim Schreiben zu sprechen. Sie beobachtete ihr Sprechen, probierte und selektierte im Schreiben. Sie notierte auch Fehlstarts, Selbstzweifel, Fragen, veränderte die Orthografie. Sie ließ Unbewwusstes, Erotisches zu. Laut gelesen verändern sich die Spiele und entwickeln ganz neue Bedeutungen (Wort-Spiele). Der imaginäre Beobachter in den Skizzen von Irving beginnt mit anderen Beobachtern zu reden, teilt sich zu solchen auf. Das hat etwas Narzistisches, deckt dabei Etwas auf, was die verachteten Stories ersetzen oder zumindest tiefgreifend verändern könnte.

Stein berichtete nachträglich, wie sie an einem Abend auf die Idee kam, Orts-Skizzen als Spiele zu schreiben. Sie nannte ihr erstes Wort/Schau-Spiel (in Geography and Plays 1922, 205) "What Happened":



"I had just come home from a pleasant dinner party and I realized then as anybody can know that something is always happening.

Somethong is always happening, anybody knows a quantity of stories of people’s lives that are always happening, there are always plenty for the newspapers and there always plenty in private life. … Everybody knows so many stories and what is the use of telling another story. There is always a story going on.

So naturally what I wanted to do in my play was what everybody did not always know nor alway tell. By everybody I do of course include myself ... And so I wrote, What Happened, A Play. Then I wrote Ladies Voices and then I wrote a Curtain Raiser. I did this last because I wanted still more to tell what could be told if one did not tell anything.



Das Spiel, “in fünf Akten” liest sich trotz der Nummerierung wie eine ungeordnete Reihe von Sätzen, Paragraphen, Akten und Parenthesen. Eine Liste von Eindrücken. Legt man aber das kognitive Wahrnehmungsschema, das Skript oder Szenario der “Dinner Party” zugrunde, lassen sich die Sustantive im Spiel recht zwanglos diesen Mustern zuordnen:

Act One

Approaching the house, noise in the car, the number (of the party guests), the house outside; inside overcoats, spots, length, shutter; common exchanges, laughter; clocks, cakes, desert spoons, turkey, water.

Act Two

number (of guests) nobody talkative, nobody flourishing, a left hand lift, a point of accuracy; very wide cake, a lightning cooky, a box; the kindness in all lemons apples pears, potatoes; portal, gate market, moon, a ticket and a return

Act Three

a cut, a slice what is the occasion for all that ... all alone with the best reception

Act Four

what is a birthday (party) ... clever sauces, a perfect central table ...

Act Five

a regret what is a doorway, what is a photograph.



Oder als kognitives Schema für Abendessen und Geburtstagsparty abstrahiert:



1. Arrival, orientation. The main dishes.

. Postprandial conversation, the dessert. Departure.

. Reflection: what happened and why (the occasion for the dinner party).

. Conclusion: A birthday party, what is special about it?

. Reflection: What will remain of it: a memory, regret, a photograph.



Mit anderen Worten Stein verlässt sich auf verbreitete kognitive Schemata der Geselligkeit, des Fests und die entprechenden Erzählmuster in zahllosen Kurzgeschichten oder Skizzen –privat oder in Zeitungen erlernt –bei ihren Leser*n. Als Sprachspiel arrangiert verfremdet das “Drama” das Interaktionsmuster solcher Parties: sie lässt das Entscheidende weg: die Menschen (nur ihre abstrakte Zahl bleibt) und - noch entscheidender - ihre Handlungen. Was ist passiert? (Das Fragezeichen fehlt immer bei Stein). Es ist ein Gruppenportrait ohne Handlung. Es ist die Verdinglichung einer Dinnerparty. Einer Sitte (custom), wie sie Skizzen aufzeichnen. Die Dinge ersetzen die gesellschaftlichen Beziehungen (“The very kindness there is in all lemons oranges apples ...”).

Zwischen den 21 Plays der Sammlung entstehen Beziehungen. Eröffnet mit einem Aufzug des Vorhangs, beeendet mit einer Rückkehr zur Arbeit (nach dem Spiel). Die Spiele sind nicht chronologisch geordnet. Viele haben Mallorca als Ort. Personen- und Hundenamen verknüpfen viele Spiele. Vor allem die Dialoge in den Spielen eröffnen neue Möglichkeiten. Redewendungen scheinen auf einander einzugehen, erlauben uns, sie zu Szenen mit Personen zu lesen:



Scene 2.

This is so pleasing.
Dear Sir. How do you pronounce Crowtell.
The land is very near and is seen and nuns fix it.
And the tramway.
 Shall I say street car.

…. (235)



Betrachten hier zwei Personen eine Landschaft? Gehen sie aufeinander ein? Oder ist das Un-Sinn, die Zerstörung höflicher Konversation? Hemingway oder Ionesco? Schau- oder Sprachspiel? Das Öffnen des Dialogs bis hin zur Beliebigkeit wirkt komisch, erlaubt aber auch das Hinterfragen von Sprachroutinen, Phrasen usw. Ionesco benutzte bekanntlich ein Fremdsprachen-Lehrbuch zur Konstruktion seiner Dialoge.

1934 eröffnete Stein mit „Four Saints in three Acts“ eine Fortsetzung der Spiele als „Operas“, mit stärkerer Mathematisierung, Rhythmisierung und dem immer schwankenden Gleichgewicht von Wiederholung und Variation, Regelaufbau und Regelverletzung. Ein Hörspiel, im kommerziellen Radio der USA unbrauchbar. Inzwischen war jedoch in Europa die Zwölfton-Komposition erfunden.

Jahrzehnte vor Beckett, Robbe- Grillet oder Robert Wilson hatte Getrude Stein mit der Verdinglichung von kognitiven Szenarien wie Restaurantbesuch, Wohnzimmer-Komödien, Dinnerparty oder Reiseskizzen experimentiert.

Da die meisten Sprachspiele von Stein erst nach 1933, als ihre Experimentierwille deutlich nachlässt, einer breiten Öffentlichkeit in den USA zugänglich wurde, verzögerte sich die Rezeption ihrer Innovationen um Jahrzehnte, ist zum Teil auch heute noch nicht das Schreiben von Skizzen und Kurzgeschichten eingedrungen. Dennoch findet sie sich sehr häufig.

Hier ist ein Erzähleinsatz aus dem Jahr 2013:

“When April arrived, it started to get warm and everyone said that the war was definitely going to happen soon and there was nothing anybody could do to stop it.” (Marcus 2016, 3)



Und hier der Anfang einer Kurzgeschichte von 1925:

Mr And Mrs Eliot tried very hard to have a baby. They tried as often as Mrs Elliot could stand it. They tried in Boston after they were married and they tried coming over on the boat. They did not try … „



Und so beginnt eine Charakter-Skizze aus Harlem von 1922:

Becky was the white woman who had two Negro sons. She's dead; they're gone away. The pines whisper to Jesus. The Bible flaps its leaves with an aimless rustle on her mound.“



Schließlich ein hilflos stammelnder Erzähler:

THERE is a story.—I cannot tell it.—I have no words. The story is almost forgotten but sometimes I remember. The story concerns three men in a house in a street. (1922)

Die drei Beispiele aus den Zwanziger Jahren stammen –in dieser Reihenfolge –von Hemingway, Toomer, und Anderson. Alle drei waren direkt oder indirekt mit Stein verbunden.

Hemingway schrieb für sie in Paris viele handschriftliche Seiten aus Making of Americans in die Maschine. Stein schrieb für ihn ein Portrait und beriet ihn stilistisch. Hemingway lernte bei ihr vor allem seine Dialogtechnik. Aber auch das Beschreiben.

Toomer und Faulkner waren durch Anderson auf Steins Experimente mit Sätzen und Paragraphen gestoßen.



Jean Toomer 1923

Jean Toomer veröffentlichte sein Hauptwerk Cane im Jahre 1923. Der Verleger, Horace Liveright, warb für das Buch als als eine Sammlung von “Genre-Bildern”. Genreskizzen oder Szenen in unserer Terminologie, gewürzt mit etwas Primitivismus und Madison Avenue:

Cane presents emotional, dramatic, genre pictures (in Washington aand Georgia) of Negro life whose rhythmic beat, like the primitive tom-toms of of the African jungle …"

und

This book is a vaudeville of the South. Its acts are sketches, short stories, one long drama and a few poems. … There can be no cumulative and consistent movement and, of course, no central plot to such a book. But if it be accepted as a unit of spiritual experience, then one can find in Cane a beginning, a progression, a complication, and an end. (Fabre/Keith 2001, reproduced 172, 169)

Die Skits auf der Bühne sollten das neue Prinzip des Buches maskieren; eine lockere Sammlung von Sketchen, durchmischt mit Liedern und Gedichten. Holländische Genrebilder (W. Irving) rhythmisiert mit afrikanischen Trommeln und zugleich wechselnden Masken im Variete als spirituelles Erlebnis – basierend auf Aristoteles und Freytags Tragödientheorien – das war etwas für Alle. Das war Kulturindustrie, der wunderbare Zauberer von Oz (1903), eine multikulturelle Utopie für alle. Ein Jahr nach Cane prägte Horace Kallen dafür den Ausdruck cultural pluralism (Fabre/Keith, 19). Die Vermarktung verdeckte den radikalen Bruch mit diesen Traditionen in Cane. 1922 war Ulysses erschienen und zugleich The Waste Land. Beide markierten 1922 als einen Durchbruch des internationalen Modernismus auch in englischer Sprache (CHAL vi).

1922 erschienen Geographies and Plays, Tales of the Jazz Age, The Enormous Room, Babbitt, The Book von Djuna Barnes. Toomer hat eingestandener Weise bei Sherwood Andersons Wineburg, Ohio gelernt und durch ihn war er auch auf Gertrude Stein gestoßen. Ulysses blieb in den USA bis 1933 verboten, doch Anderson hatte eine Kopie nach New Orleans eingeschmuggelt und dort an Faulkner ausgeliehen. Wie schon bei dem Versuch in der Armory Show (1913), moderne Kunst in New York einzuführen, blieb der Widerstand der Galerien und Verleger groß. Erst nach dem Ersten Weltkrieg und den anti-sozialistischen Säuberungen von 1919 (red scare) konnten sich bleibende Ansätze des Modernismus in den USA durchsetzen. Die Harlem Renaisssance war eine der wichtigsten. Sie brachte schwarze und weiße Menschen zusammen, um den immer noch herrschenden Rassismus zu durchbrechen (Hutchinson 1995). Sie promovierte einen neuen Prototyp für Neger (the New Negro), urban, kreativ und Innovationen aufgeschlossen.

Toomer hielt Distanz zu diesen Promotionen und versuchte, seinen Verleger davon abzuhalten, ihn als schwarzen Autoren zu vermarkten. Es ging ihm um mehr. Er wollte eine nationale Zeitenwende in den USA darstellen, ausgelöst durch die Massenemigration aus dem ländlichen Süden, mit der Entstehung großer schwarzer Ghettos in den Großstädten des Nordens.

Vereinfacht lässt sich die Konstruktion von Cane wie folgt beschreiben. Sektion I enthält Skizzen über Semper (Sparta), eine Kleinstadt in Georgia; Sektion II skizziert Washington DC und Chicago. In Sektion III, trifft ein Lehrer aus dem Norden (dramatisch) auf Vertreter von Semper. Also ein dialektischer Dreischritt: Land – Stadt – Konfrontation beider. Das unter dem Titelsymbol des Zuckerrohrs: ausgehend von dessen Pflanzung und Ernte durch ausgebeutete Landarbeiter (I), Nachkommen von Sklaveninnen) über dessen Vertrieb als Rum und dessen Vermarktung (II) mit den Auswirkungen Entwurzelung, Alkoholismus und Prostitution (III). Cane ist u. a. ein Buch der Prohibitions-Zeit. Toomer experimentierte hier mit Sätzen, Absätzen und Sektionen in Prosa und Versen. Er montierte nicht nur Skizzen und Stories, er stellte diese zwischen jeweils 2 Gedichte, und ließ das Ganze in ein szenisches Kurz- Drama münden. Er selbst hat das Geflecht in Bezügen mit einem Baum (Stamm, Äste, Blätter) verglichen. 

Den Stamm in allen drei Sektionen bilden die Charakterskizzen, jeweils sechs in I und II. Das Drama in III besteht aus sechs Szenen. Bereits die Zahlenkonstruktionen erinnern an Gertrude Stein. Hinzu kommen die Vers-Vignetten (die Blätter), welche sich zurück auf die Skizzen beziehen. Sie wirken wie ein doppeltes Motto zwischen zwei Genreskizzen.

Bei den Bezügen geht es offensichtlich um die Auswirkungen der Großen Migration vom Lande in die Stadt. So sind die Sektionen durch zahlreiche visuelle und akkustische Leitmotive dicht verknüpft. Die charakterisierten Figuren wiederholen sich nicht. Kritiker haben musikalische und symbolische Netzwerke, gebildet aus rhythmischen Satzfiguren und Bildern, detailliert aufgewiesen (Fabre/Keith, 109, 142-61). Die beiden Reihen von ländlichen und städtischen Charakteren in den beiden ersten Sektionen ermutigen die Leserschaft, eigene Beziehungen –Parallelen und Kontraste –zwischen Karintha und Rhobert oder Avey, Avey und Fern, Esther und Box Seat oder den beiden Endgeschichten („Blood Burning Moon” mit “Bona and Paul”) zu konstruieren. Auch innerhalb der beiden Sektionen ergeben sich sich vielfältige Bezüge zwischen Gedichten und Skizzen.

Toomer verwischt bewusst die Grenzen zwischen Gedicht und Skizze, Skizze und Vignette (oft als Prosagedicht), Skizze und Geschichte.

Ähnliches gilt für das Drama in Sektion III. In es münden alle Bezüge, und auch in ihm verwischt sich die Grenze zwischen Drama und Erzählung. Zwei Beispiele:

Seventh Street

Money burns the pocket, pocket hurts,
Bootleggers in silken shirts,
Ballooned, zooming Cadillacs,
 Whizzing, whizzing down the street-car tracks.

Seventh Street is a bastard of Prohibition and the War. A crude-boned, soft-skinned wedge of nigger life breathing its loafer air, jazz songs and love, thrusting unconscious rhythms, black reddish blood into the white and whitewashed wood of Washington. Stale soggy wood of Washington. Wedges rust in soggy wood…Split it! In two! Again! Shred it!..the sun. Wedges are brilliant in the sun; ribbons of wet wood dry and blow away. (II.1)

Expressionismus mischt sich mit Impressionismus, ein gereimtes Gedicht geht über in rhythmisierte (synkopierte) Prosa, schwarz/weiß Gegensatz durchsetzt mit Rot, eine Metapher verselbständigt sich und markiert soziale Auseinandersetzungen: Seventh Street ist zur schwarzen Hauptstraße Washington geworden, ein phallischer Keil ins weiße Amerika. Slang durchsetzt mit Gertrude Steins Verbformen. Diskrepant, polyphon, einfach Jazz. Und verbotener Alkohol.

Dagegen die Die Hauptstraße von Semper in Georgia:

Sempter’s streets are vacant and still. White paint on the wealthier houses has the chill blue glitter of distant stars. Negro cabins are a purple blur. Broad Street is deserted. Winds stir beneath the corrugated iron canopies and dangle odd bits of rope tied to horse-and mule-gnawed hitching-posts. One store window has a light in it. Chesterfield cigarette and Chero-Cola cardboard advertisements are stacked in it. From a side door two men come out. Pause, for a last word and then say good night. Soon they melt in shadows thicker than they. Way off down the street four figures sway beneath iron awnings which form a sort of corridor that imperfectly echoes and jumbles what they say. A fifth form joins them. They turn into the road that leads to Halsey’s workshop. The old building is phosphorescent above deep shade. The figures pass through the double door. (III.5)

Hinter seinem Laden verbirgt Halsey etwas Verbotenes: Kartenspiel, illegalen Schnaps und ein Bett zur Prostitution. Chero-Cola ist nur Tarnung. Kabnis, der Protagonist, wird sich betrinken und mit einer Hure schlafen. Im Dunkeln sitzt ein blinder Priester, der nicht mehr an die Lügen der Bibel glaubt. Das dunkle Loch (Hole) wird Ort der Auseinandersetzung über die menschliche Seele. Kabnis glaubt, dass die Sündenpredigten die menschliche Seele, seine eigene vergiftet haben : “Sin-Bak”. Dann ist da noch der Wind, ungehört wie in Eliots Wasteland: die spirituelle Erweckung bleibt aus. Sempter steht wie Washington für dieses verwüstere Land.

Das liefert uns den Schlüssel zu den 11 Charakterskizzen und zu “Seventh Street”. Fast alle Skizzen drehen sich um sexuelle Begierden, ein waist land. Männer verfolgen Frauen, und Frauen gelüstet es nach Männern. Schwarzen und weißen. Nur zwei haben keine Gelüste: Rhobert sinkt unter dem Gewicht seines Hauses in den Boden, eine fromme namenlose Frau hat ihre Seele an ihr Hündchen gebunden. Nachts träumt sie von Zuckerrohr. Doch auch die Triebe der anderen Charaktere sind deformiert. Durch ihre Schicksale, wie Freud es nannte. Toomer zeichnet zwei Triebschicksale immer wieder: den Rassismus und die Kirche. Das Lynchen und die Sündenpredigten des Südens verhindern immer wieder schwarz-weiße Sexualbeziehungen (“Blood Burning Moon” und “Esther”) oder deformieren diese Beziehungen auch im Norden: Bona begehrt Paul, weil er ein Neger ist, und Carrie kniet am Ende vor dem schwarzen Priester und betet “Jesus come.” Die Sonne geht auf.

Toomer überbietet seinen Lehrmeister Anderson in der Analyse der sexuellen Frustration (“Esther” könnte aus Winesburg Ohio stammen). Beide sind Teil der Revolte gegen den Puritanismus in den 20er Jahren (Van Wyck Brooks, America’s Coming-of-Age 1915), aber Toomer fügt noch den wachsenden Rassismus nach dem Ersten Weltkrieg hinzu. Er selbst wurde von der New York Times angegriffen, als er eine weiße Frau heiratete. Die Charaktere in Cane sind gefangen in ihren Futteralen (Tschechow), in ihrer Paralyse (Joyce) oder ihren “Wahrheiten” (Anderson). Toomer deutet an, auch in ihren Geschlechterrollen. Der frustrierte Dan in “Box Seat” will den Feministinnen beim Sex beibringen, wer der Herr im Hause ist und fängt eine Schlägerei hinter dem Theater an. Ich werde in folgenden für diese Gefangenschaft (confinement) Bourdieus Begriff Habitus (Müller 2013, 27-71) verwenden. Denn diese Befangenheit in Strukturen, welche die Protagonisten seit Gogols „Mantel“ umhüllt, wird sich bis an das Ende des C20 in den Sketch-stories fortsetzen. Gefängnisse, Käfige, Netze, Eigentumswohnungen, Bordelle und Kliniken tauchen überall auf. Vor allem Städte (wie Dublin) konditionieren die Personen, deren Habitus resultiert aus unsichtbarer sozialer Kontrolle wie z. B. in “Calling Jesus”. Und Kontrolle ist eine Form von Dominanz, welche die Beziehungen zwischen Geschlechtern, Ethnien, Klassen und Altersgruppen prägt. Der Sexismus der alten Männer, dem Karintha zum Opfer fällt (Fabre/Keith, 96-108), die tödliche Gewalt nach einem Ehebruch, der Hass gegen Feministinnen, das Lynchen im Süden alle stammen aus sozialen Strukturen, die letztlich zur Sklaverei zurückführen. Strukturen, die keine Zukunft haben. Es gibt keine Kinder in Cane. Karintha verbrennt ihr totes Baby. Beloved? Wie bei Faulkner, der diese Thema genealogisch weiterentwickeln sollte (ab Sartoris 1929) hat dieser Süden keine Zukunft mehr. Toomer formulierte es in einem Brief an Waldo Frank so: "The folk spirit was walking to die on the modern desert .." (Fabre/Keith, 110). Spirit und Soul sind Schlüsselwörter in Cane. Das geht einerseits auf The Souls of Black Folk 1903 von DuBois zurück, deutet aber auch schon Toomers spätere Konversion zum Spiritismus vor.

Toomers und Andersons Beitrag zur Entwicklung der Charakterskizze liegt so nicht nur darin, dass sie die Triebstruktur ihrer Protagonist:innen offenlegen. Sie zeigen auch wie Verdrängungen, Verkehrungen, Wendungen gegen die eigene Person aus dem Ensemble der sozialen Beziehungen in der Klein- oder Großstadt entstehen. Manchmal zeigen sie auch Auswege aus solchen Sackgassen. George Willard verlässt Winesburg; Kabnis versinkt in Alkohol und Selbstmitleid. Er war kein New Negro.

Mehr noch als Anderson versuchte Toomer zugleich auch stilistisch einen Ausbruch. Variierende Wiederholung und Experimente mit Satz- und Absatzstrukturen sind nicht alles. Die Charakterskizzen verwenden ganz unterschiedliche Techniken zwischen narrativen Porträts, fokalisierten Beschreibungen und szenischer Interaktion mit wechselnden Figurationen. Dabei verschieben sich fortlaufend die Proportionen zwischen Praxis der Charaktere, ihrem Umfeld und ihrem Habitus: in der Stadt tauchen immer noch die untergegangen ruralen Wurzeln der Folklore auf.

Darin liegt aber auch die Begrenzung von Cane. Die afro-amerikanische Folklore und ihre Wurzeln im Blues verdienten mehr als einen „Schwanengesang“. Georgia hatte 1923 bereits viele ländliche Bluessinger, und Atlanta wurde ein frühes Aufnahmezentrum für sie (Oliver 1969, 41-47). Die schwarze Emigration aus dem Süden verwandelte diese Wurzeln in instrumentalen Jazz, welcher mit der Schallplattenindustrie nicht nur den Zwanziger Jahren einen Namen gegeben hat, sondern sich weltweit als amerikanische Musik und Lebensweise ausdehnen würde (Schuller 1968). Toni Morrison sollte das Thema der Großen Migration 1992 in Jazz erneut aufgreifen. Und in vielen Passagen liest sich Jazz wie eine direkte (feministische) Anwort auf Cane. Zugleich auf Tales of the Jazz Age (1922) von Scott Fitzgerald.

MCKAY 1929

Einen ganz anderen Weg zur Erneuerung der Sketch-Story ging Claude McKay. Zunächst versuchte auch er, den Land-Stadt Gegensatz im Lokalkolorit einer Skizzensammlung zu erfassen. In Gingertown (1923) kontrastierte er noch Szenen aus Jamaika mit städtischen aus Harlem. Die Beziehungen zwischen den 12 Geschichten blieben bis auf das generelle Thema des Rassismus meist zufällig. Doch mit Banjo. A Novel without a Story (1929) hatte er einen neuen Weg gefunden, den andere nach 1945 wieder aufgreifen sollten. Auch dies waren Skizzen aus der Jazz Ära. Aber sie kamen aus Marseilles, genauer aus dem alten Hafenviertel, das die Nazis nach 1942 abreißen sollten. Banjo ist der Protagonist einer lockeren Folge von Skizzen über Personen, Plätze und Feste in dieser Altstadt, dem Traum vieler Matrosen und Vagabunden aus aller Welt. Harlem war McKay zu eng geworden. Hier in Marseilles bildete sich eine Subkultur aus Menschen afrikanischer, asiatischer und europäischer Menschen aller Hautfarben, die in den Tag hinein lebten aber auch Musik machten. Kultureller Pluralismus, typisch für viele Hafenstädte und die globale Diaspora (Cohen 1997). Banjo ist ein afrikanisches Instrument und Wort. Mit ihnen improvisieren Banjo und McKay über Jazz und Szenen einer Großstadt. Einer Hafenstadt einem Schmelztiegel neuer hybrider Kulturen. Weitab von Gertrud Stein in Paris oder dem Lokalpatriatismus der Harlemer Renaissance entwickelte McKay eine neue, fast mühelose Swingprosa, die improvisierend von Skizze zu Skizze führte und erst mit der Abreise aus Marseille endet. Freund- und Liebschaften jenseits von Nationen und festen Geschlechterollen lösen die Charaktere und Schauplätze in einen lockeren Alltag auf, der sich oft zu einer gemeinsamen Jamsession entwickelt. Nur Thomas Wolfe und Jack Kerouac haben ähnlich locker eine spontane Prosa gefunden. Hier ein kurzes Beispiel:



Shake to the loud music of life playing to the primeval round of life.
 Rough rhythm of darkly-carnal life. Strong surging flux of profound currents forced into shallow channels. Play that thing! One movement of the thousand movements of the eternal life-flow. Shake that thing! In the face of the shadow of Death. Treacherous hand of murderous Death, lurking in sinister alleys, where the shadows of life dance, nevertheless, to their music of life. Death over there! Life over here! Shake down Death and forget his commerce, his purpose, his haunting presence in a great shaking orgy. („Jelly Roll“)



Shake ist ein Tanzstil. Der Paragraph ein Tanz mit Worten. Jelly Roll meint Sex, “that thing” meint alles drei zusammen. Und der Tanz –afrikanisch, europäisch, transatlantisch – meint Überleben. Auch im Schreiben. Toomer bewunderte Georgia O’Keefe und Alfred Stieglitz, die Malerin und den Fotografen. McKay löste das Skizzieren von seinen malerischen Vorbildern und brachte musikalische Improvisation ins Schreiben. Wo Toomer noch teilweise den impressionistischen Kadenzen von Lacfadio Hearn folgte, phrasiert McKay seine Sätze in Riffs and Beats wie ein Blues-Gitarrist, der zum Tanzen auspielt. („Shake that thing!“ ist ein bekannter Bluestitel.) Langston Hughes sollte Ähnliches mit der Poesie und dem Blues tun. Jazz-Poesie konnte später eine besondere Form entwickeln, auch in der Form des Intonieren vor einer Jazz Combo. Viele Seiten in Banjo sind improvisiert und versuchen, das Gefühl von Jazz auf sein Publikum zu übertragen.

Bei McKay und Toomer dringt die afro-amerikanische Sprache, ihre Syntax und Wörter durch in den Diskurs der Erzähler/Skizzierer ein. Eine Art skaz. Diese Prosa ersetzt die Dialektskizzen des (19 mit ihren Stereotypen in Phrasierung und Orthografie. Das zeigt sich auch an den multikulturellen Dialogen der Figuren. Sie klingen anders:



"I could sure make one a them dumps look like a real spohting-place,' , said Banjo, "with a few of us niggers pifforming in theah. Lawdy ! but the chances there is in a wide-open cat town like this ! But everybody is so hoggish after the sous they ain't got no imagination left to see big money in a big thing."

"It wasn't a big thing that dat was put ovah on you, eh?" sniggered Bugsy.

"Big you' crack," retorted Banjo. "That theah wasn't nothing at all. Ain't nobody don't put anything ovah on me that I didn't want in a bad way to put ovah mahself.

I like the looks of a chicken-house, and I ain't nevah had no time foh the business end ovit. But when I see how these heah poah ole disabled hens am making a hash of a

good thing with a gang a cheap no-'count p-i's, I just imagine what a high-yaller queen of a place could do ovah heah turned loose in this sweet clovah. Oh, boy, with a bunch a pinks and yallers and chocolates in between, what a show she could showem!"


Banjo und Bugsy liegen faul in der Sonne und diskutieren die Hafenkneipen vor ihnen. Einige funktionieren auch als Bordelle. Mit ihrer Musik und einer gemischten Mädchentruppe könnten die beiden den Laden aufmischen und schnell reich werden. Banjo hat nicht viel übrig für Bordelle, aber er will sich von keinem der Kneipenbesitzer dominieren lassen. Er will nicht wie die alten Soldaten-Huren im Hafen enden. „Death over there! Life over here!“ Dasselbe Thema, doch in einem neuen Register, in der Alltagssprache der Unterwelt. Diskurs und Story verschränken sich neu. Das Ganze als gemeinsames Sprachspiel zwischen Banjo und Bugsy. Sie tagträumen, aus Spaß. Bugsy feuert Banjo an, und der legt gleich eine kleine Improvisation vor. Er steigert sich von hogs über chicken zu hens und high yeller im Klee und leitet dann von Gelb eine ganze Skala von Hautfarben ab: rosa wie eine Französin, gelb wie eine Asiatin (high yeller heißt eine hellfarbige Mulattin), dunkelbraun wie eine Afrikanerin – alle überragt von der Mulattin als Königin. Die Farm leiht hier ihre Tiere und Pflanzen für städtische Metaphern in der Zuhältersprache. Die Hautfarben mischen sich zu einer Jazz-Show (etwa wie bei Duke Ellington und dem Cotton Club, in Händen des Mafia Bosses Dutch Schultz). Bugsy und Banjo mischen den Wortschatz von Sexismus und Rassimus spielerisch auf. Sie werden weiter um Gelegenheiten zum Spielen betteln müssen bei den Kneipenbesitzern und Bordellwirten. Aber der Respekt vor ihnen fehlt wie vor den Soldaten (P.I. in Kleinbuchstaben) völlig. Erst Nelson Algren wird ähnliche Töne wieder in Marseilles entdecken.

Skizzieren konnte so nicht nur vom Improvisieren der Musiker lernen. Auch die emergente Alltagssprache der urbanen Ghettos verdankt viel dem Spiel mit der Sprache, dem indirekten Reden, dem signifying (Abrahams 1970), nur entfernt verwandt mit der Ironie von Washington Irving. Freud und Jazz wirken auf das Skizzieren über die Zwanziger Jahr hinaus. Es kommt noch ein Drittes hinzu: das Radio.

Wie der Film bemächtigte sich das Radio der literarischen Formen in Theater und Druckmedien. Neben Nachrichten, Musik und Werbung gab es Sketche, Skits von professionellen Komikern (aus der Vaudeville und Minstrel Tradition), Hörspiele (wie “The Shadow” oft aus Pulpserien abgeleitet) und Interviews wie sie seit Mark Twain in Zeitungen abgedruckt wurden. Einer der bekanntesten Radioserien hieß Amos ‚n‘ Andy (seit 1928). Es ging dort um komische Dialoge von schwarzen Männern (zunächst von weißen Schauspielern aus der Minstrelshow Tradition gesprochen), welche die amerikanische Radiosketche nachhaltig veränderten. Auch der ländliche Blues sollte sich in Chicago elektrifizieren und über die schwarzen Radiostationen zum Rock’n’Roll mutieren.

All das lenkte die Aufmerksamkeit des Publikums auf den Dialog. Es fand Gefallen an Tonfall, Aussprache, Versprechern (howlers) und witzigen Wendungen. Hatte die Kurzgeschichte wie sie Poe konzipierte noch unter dem Einfluss des Theaters gestanden, geriet die moderne Sketch Story jetzt unter den Einfluss des Radios. Und mehrdeutige Ghettosprache des städtischen Blues wurde zur Sprache der Jugendrevolte nach 1945.




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